Freundschaft

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This article was last updated on 2020-10-07, the content may be out of date.

Mir geht es sehr ähnlich und ich habe eine Menge Stories, die deinen gleichen. Allerdings beziehe ich mich nun nur auf die Freundschaftsseite, nicht auf den Part mit den Depressionen, da sind andere Kommentare besser. Ich glaube, dass das vor allem ein statistisches Problem aus der Konsequenz bestimmter Charaktereigenschaften und Grundwerte ist, ganz besonders Introversion, aber auch beispielsweise Ehrlichkeit über Harmoniebedürfnis zu stellen und Intimität über Oberflächlichkeit.

Hattest du jemals mehr als 2-3 enge Freunde mit denen du regelmäßig etwas gemacht hast? Magst du oberflächlichen Smalltalk? Schreibst du dutzenden Leuten hier und da mal, um den Kontakt zu erhalten, obwohl du die seit Monaten nicht gesehen hast und eigentlich gar kein Interesse an ihnen hast?

Wahrscheinlich nicht. Dein Text klingt nach einer eher introvertierten Person, die sehr anhänglich ist und sich extrem intensive Kontakte wünscht. Mit der Intensität kommen die meisten Menschen nicht klar oder haben gar kein Interesse daran und so kommt es, dass diese eigentlich eine Zweckbekanntschaft wollen, aber du sie mit deinem Wunsch nach emotionaler Intimität verschreckst.

Wenn man 100 oberflächliche Bekannte hat und mit denen dann auch viel macht, dann ergeben sich daraus über viele Jahre hinweg wahrscheinlich ein paar intensive Freundschaften. Aber das ist längst nicht so selbstverständlich wie Hollywood es einen glauben lässt. Wirklich tolle Freundschaften sind selten und ein rares Geschenk. Ich empfehle dazu auf jeden Fall die Folge 22 über Freundschaft von Anekdotisch Evident. Die Deutschlandfunk Kultur Folge “Was macht gute Freunde aus?” war auch richtig gut.

Im Allgemeinen gehen Soziologen davon aus, dass man für das Etablieren von echten Erwachsenenfreundschaften drei Kriterien braucht:

  1. (Räumliche) Nähe
  2. Regelmäßige, ungeplante (!) Interaktionen
  3. Eine Umgebung in der man bereit ist, sein Schutzschild abzulegen und sich zu öffnen

Der Artikel “Why Is It Hard to Make Friends Over 30?” in der New York Times hat das super auf den Punkt gebracht, finde ich.

Je älter man wird, desto kleiner wird der Bekanntenkreis auf den diese Kriterien kontinuierlich zutreffen und umso geringer die Chance, dass sich daraus echte Freundschaften entwickeln. Wenn man dann noch vom Typ her jemand ist, der generell nur wenige, intensive Kontakte sucht, dann hat man allein von den Gelegenheiten her statistisch kaum noch eine Chance, diese zu finden.

Das Hauptproblem ist dabei, dass man in so einen Teufelskreis kommt. Je stärker aus der Einsamkeit das Bedürfnis nach Intimität wird, desto intensiver wird das eigene Investment. Daraus ergibt sich ein frühes Ungleichgewicht, das andere vollkommen verschreckt, weil die nötige Ungezwungenheit fehlt und der andere das starke Gefühl bekommt, man würde sich an ihn klammern und ihn als Löser der eigenen Probleme betrachten. Es ist unglaublich schwierig, sich da zurückzunehmen und den Kontakt oberflächlicher zu halten.

Ich will damit nicht sagen, dass du in deinen Beispielen etwas verkehrt gemacht hast, ganz im Gegenteil. Das waren keine echten Freunde und du hättest vielleicht sogar früher den Kontakt beenden oder einschränken sollen. Genau ist es auch normal, dass sich Freundschaften im Laufe des Lebens verlieren. Aber du solltest dennoch weiterhin versuchen mehr Leute kennenzulernen und Gelegenheiten schaffen, dass sich daraus vielleicht etwas ergibt.

Das ist das beste und einzige was wir tun können und ja, es ist verdammt schwierig und ich habe genauso wenig ein Patentrezept für das Dilemma, gerade wenn man introvertiert ist, viel Energie im Job lässt, privat gar keine Lust und Energie mehr für soziale Hobbies hat und im Kontext Depressionen natürlich erst recht, aber es ist wahrscheinlich der einzige Weg. - Viele Optionen schaffen, es ruhig angehen bzw. sich auf ein Level von Investment einschwenken das erwidert wird und beidseitig intensivieren, wenn es passt, aber versuchen die drei Punkte im Kopf zu behalten, die als Rahmenbedingungen für Freundschaft nötig sind und diese herstellen.

Such vor allem nicht den Fehler in deiner Person und versuch nicht dich zu verstellen, sondern eher, über dich selbst, deine Bedürfnisse und Handlungen zu reflektieren. Über MBTI kann man natürlich vortrefflich streiten und man sollte die einzelnen Punkte nicht binär betrachten, sondern als Spektren, aber mir hat es enorm geholfen, mich selbst besser zu verstehen, weil bei mir die meisten typischen /r/intj Eigenschaften wie Faust aufs Auge passen und ich so gemerkt habe, dass ich nicht “falsch” bin, sondern nur anders, auf eine Art, die ziemlich ungewöhnlich, aber eben Teil meiner Persönlichkeit ist. Kannst ja mal ein paar Tests machen und dann auf den entsprechenden Subreddits weiterlesen.