Habitus

Warning
This article was last updated on 2020-09-14, the content may be out of date.

Sieh es so - du hast bereits deutlich mehr geschafft als der massive Großteil mit den gleichen Startbedingungen und wenn du so weiter machst, kommst du bald an einen Punkt an dem du kaum noch wirklich abstürzen kannst. So lang du gerade so über die Runden kommst, wird dein Kapital weiter arbeiten bis du irgendwann davon leben kannst.

All deine Erfahrungen und Lehren haben dich geprägt und genau zu dem gemacht, der du heute bist. Nur weil du da durch musstest, kannst du so agieren, wie du es heute tust und wie man es an dir schätzt.

Den “Stallgeruch”, also den Habitus deiner Herkunft wirst du nie zu 100% ablegen können. Am Ende sind es die ganz feinen Details an denen es hervorkommt und sei es die umgangssprachlichere Wortwahl, wenn man angetrunken ist. Es ist bereits eine absolute Ausnahme auch nur eine soziale Schicht nach oben zu steigen, mehrere Schichten in einem Leben sind eine wahnsinnige Leistung. Own it.

Und selbst wenn das ökonomische Kapital Schiffbruch erleiden sollte, kann dir niemand mehr dein soziales und kulturelles Kapital nehmen, das du in deiner Person vereinst und das dich für immer von anderen differenziert und auszeichnen wird. Also arbeite daran, dieses Kapital auszubauen und zu verfestigen. Formelle Bildung ist nur ein winzig kleiner Teil davon, der ohnehin immer irrelevanter wird.

Du kannst aber mit viel Reflexion deine eigenen Verhaltensmuster erkennen und merken, wann du in entsprechende Abläufe zurückfällst. Noch deutlicher wird das natürlich, wenn du doch mal Kontakt zu Leuten von früher oder zu Verwandten hast. Manchmal kann es wirklich nötig sein, das komplett abzubrechen und sich zu lösen, ansonsten kommt man da schnell in ein “Crabs in a Bucket”-Szenario, wo progressive Gedanken und Ansätze ständig schlecht geredet werden. Dann muss man zumindest klare Grenzen ziehen und sich nicht von negativer Mentalität beeinflussen lassen.

Zum Verständnis und zur Reflexion dergleicher Themen kann ich wärmstens empfehlen, sich mit Pierre Bourdieu und seinen Gedanken über soziale Milieus auseinanderzusetzen, allerdings wohl weniger seine eigenen, trockenen Bücher, als beispielsweise in Podcasts über ihn und sein Werk. Da wären beispielsweise - sehr passend - die In Trockenen Büchern Folge über Geschmack von Alexandra Tobor, natürlich jede Menge Folgen des großartigen Soziopods, wie Folge 32: Bourdieu und der Fluch der sozialen Ungleichheit, jede Menge Folgen von Anekdotisch Evident, wie Folge 19: Status, Folge 7: Einsamkeit, Folge 1: Luxus und viele mehr, sowie der WRINT Politikunterricht in Folge 357 Der Sozialstatus, plus Zusatzinformationen.

Ansonsten gilt natürlich das klassische “Leave it. Change it. Accept it.” nach Eckhart Tolle. Wenn du mit der aktuellen Situation nicht zufrieden bist und das nicht akzeptieren kannst, dann änder es, bis es dir passt. Wichtig ist, dass ein kompletter Szenenwechsel selten die wirklichen Probleme löst, also werd dir klar, was du eigentlich möchtest und fang heute an, es zu ändern.

Auswandern ist selten ein Allheilmittel, vor allem wenn man dann doch irgendwann resigniert feststellt, dass es an einem selbst und nicht am Wohnort lag, aber ich kann den Gedanken und die Sehnsucht nach einem Neuanfang ohne Altlasten und alles was einen zurückhält gut nachvollziehen und hatte das auch schon manchmal. Du solltest dir trotzdem gut überlegen, was du tun musst, um den Root Cause zu lösen und nicht nur die vermeintlichen Symptome abzuschütteln, die sonst sicher wieder zurückkehren werden. Dann kann ein Tapetenwechsel einen Lebenswandel durchaus unterstützen, doch die echte Veränderung ist die Verhaltensänderung und das ist harte Arbeit.