Ideologische Begriffsdefinitionen

Warning
This article was last updated on 2020-07-06, the content may be out of date.

Es ist eher das Problem, dass man Begriffe wissenschaftlich oder ideologisch neu definiert, was im entsprechenden Rahmen ja völlig okay wäre, aber dann der Allgemeinheit erzählt, sie hätte den Begriff nicht verstanden.

Dasselbe mit „reich“, „(relativer) Armut“, „(toxischer) Maskulinität“, „alten weißen Männern“ und allgemein extrem in Kontext Rassismus oder Genderthemen.

Das sorgt natürlich zwangsläufig dafür, dass man aneckt, aneinander vorbeiredet oder den anderen vor den Kopf stößt. Aber genau das ist oft wohl auch gewollt.

Frag irgendeinen Bürger auf der Straße, was er sich unter Oberschicht vorstellt. Die werden von Quandts und Adel erzählen, von Jachten und Mietkasernen/-blöcken in München und Villen am See, von Managern und Politikern, aber sicher nicht von einer wissenschaftlichen Definition nach den 10% höchsten Einkommen.

Die Wörter haben bereits Definitionen. Man kann die nicht einfach umschreiben, sondern muss dann ganz klar den wissenschaftlichen Kontext vom Allgmeinsprachlichen trennen, ansonsten muss man sich echt nicht wundern.


Was Leute in Fußgängerzonen meinen was eine Definition beschreibt ist sicherlich relevant für Massenkommunikation ändert aber nichts an der korrekten wissenschaftlichen Definition.

Ich habe nicht gesagt, dass es falsch ist, eine wissenschaftliche Definition zu entwickeln, die man für wissenschaftliche Diskussionen und Vergleichbarkeit sicher auch braucht. Ich habe nicht einmal gesagt, dass ich die Definition selbst falsch finde (wobei (toxische) Maskulinität und (relative) Armut ganz klar Kampfbegriffe sind, die emotionale Reaktionen hervorrufen sollen, was ich grundsätzlich verlogen finde - man hätte da auch einfach andere Wörter finden können). Ich verstehe auch die Unterschiede und was mit den Begriffen jeweils gemeint ist. Ich verstehe auch, dass die Begriffe alle in der richtigen Debatte ihren Platz haben.

Aber sie kamen nun einmal nach der allgemeinsprachlichen Definition, die Jahrhunderte alt ist und entsprechen nicht dem Verständnis des normalen Bürgers. Moderner Journalismus differenziert da in bester /r/iAmVerySmart Manier unzureichend und versucht dem Bürger nun zu erzählen, jener habe die Wörter alle falsch verstanden, statt einfach zu akzeptieren, dass es je nach Kontext andere Definition desselben Begriffes gibt. Das war schon bei der ganzen Friedrich Merz Mittelschichtendebatte das Problem, aber da fanden es ja alle cool sich zu echauffieren.

Das passiert übrigens umgekehrt genauso, wenn alle dem Staat vorwerfen, Arbeitslosenzahlen schönzurechnen, was abseits von Maßnahmen und Kategorisierung aber primär eine Konsequenz von internationaler Vereinheitlichung zur Vergleichbarkeit ist. Es gibt mehrere Dutzend Definitionen von Arbeitslosigkeit, die je nach Kontext ganz andere Bedeutungen haben (ist ein Student arbeitslos? Ist jemand, der gar keine Arbeit sucht, arbeitslos? Ist ein Rentner arbeitslos? - und das sind die einfachen Beispiele). Kontext wird einfach nicht hinreichend bewertet und Oberflächlichkeit gewinnt. Deshalb war es so schön zu sehen, wie Christian Drosten genau das mit dem Podcast aufgebrochen hat und sich immer wieder ganz klar gegen Verkürzungen ausgesprochen hat.

Deutlicher wird das alles, wenn wir nicht über Oberschicht reden, sondern über Eliten. Denn das Wort ist nicht derartig überladen und dann wird klar, dass Reichtum sekundär und allenfalls Mittel zum Zweck ist, sondern es eigentlich um Macht und Vernetzung geht. Soziales, kulturelles, ökonomisches und symbolisches Kapital sind nun einmal konvertibel.

Adel ist dabei auch nicht wörtlich zu nehmen, sondern sinnbildlich für “altes Geld” und vernetzte Strukturen.

Zum Ende: die 25% sind ja falsch (es wird vor Ausschüttung in der Firma besteuert) und ich finde nicht, dass Vermögen das Problem sind, stimme aber sehr wohl zu, dass Erbschaftsteuer nicht ideal ist und reformiert werden müsste. Ist in Deutschland aber eben auch nicht trivial.

In der Praxis ist das aber meines Erachtens trotzdem alles durchlässiger als die meisten glauben. Die wenigsten Familien können das Geld über mehr als drei Generationen erhalten und erstaunlich viele Millionäre und Milliardäre sind tatsächlich “self-made”. Man sollte eher Zugang zu Bildung weiter öffnen (Bafög für alle ohne Bedingungen, Schulbücher und Unterlagen online für alle, etc.). Das sind aber alles ganz andere Diskussionen.


Naja, selbst bei 45% Spitzensteuersatz zahlt jemand in dem Bereich dann trotzdem lächerlich wenig an Sozialabgaben und die machen für die unteren Einkommen den Kohl erst fett, was die Abgabenlast angeht. Leider.

Sozialabgaben sind aber nicht für Umverteilung da. Jeder Abgabe steht eine konkrete Gegenleistung gegenüber. Es ergibt keinen Sinn jedes System zu verkomplizieren und noch einmal eine Umverteilungskomponente einzubauen, wenn man einfach den Steuersatz drehen kann. Ansonsten können wir es auch direkt wie in Dänemark machen und einfach eine Steuer für alles erheben.

Die unteren Einkommen zahlen sowieso schon keine oder fast keine Steuern und sie sind die einzigen mit einer Gesamtabgabenlast unter 50%.

An der Stelle wäre imho ein höherer Mindestlohn, eine Abschaffung von Werkverträgen in prekären Verhältnissen und Abschaffung jeglicher Vermögensgrenzen bei Hartz4 viel konsequenter. Stattdessen sollte die Bereitschaft Arbeit anzunehmen als Bedingung genügen.


Ich persönlich kenne Leute über alle schichte. Ja ich kenne auch ein zwei Leute der 1% der USA. 0,1% kenne ich aus Medien. Ich kenne NIEMANDEN der von der Unterschicht zu den 1% aufgestiegen ist glaube ich.. mir fällt keiner ein. Auch keiner der Leute die wirklich in Armut leben kommen aus einer Familie aus der Oberschicht. Mir fällt keiner ein. Ich weiß man findet bestimmt irgendwehn.

Durchlässigkeit bedeutet ja nicht unbedingt, dass dies in einer Generation von ganz unten nach ganz oben passieren muss. Aber du hast in jedem Dezil etwa 20% Durchmischung in jede Richtung im Jahr, wenn ich mich recht erinnere, ca. 10-12% ins angrenzende Dezil und 6-7% ins nächste. Beim obersten Dezil gibt es keins mehr nach oben, also bleibt es bei den ca. 10%. Bei den obersten 1% oder gar 0,1% ist es wahrscheinlich weniger, aber dann spielen eben auch nicht nur Finanzen eine Rolle.

AFAIK sind 88% der Millionäre und 55% der Milliardäre self-made. Selbstverständlich hatten die nicht alle dieselben Startbedingungen und “self-made” ist mit Vorsichtig zu genießen, aber das wird eh nie der Fall sein. Also sollten wir eher daran arbeiten, allen möglichst gute Startbedingungen zu geben.

Meine Großväter waren Anstreicher und Hauer im Bergbau unter Tage, also einfache Arbeiter. Meine Eltern haben studiert, aber normal bürgerlich und ohne großen Luxus gelebt. Ich hab ein 1% Gehalt. Das ist im Grunde genau so ein Aufstieg über mehrere Dezile über zwei Generationen.

Abseits der reinen Zahlen sind dabei die anderen Kapitalformen, also kulturelles, soziales und symbolisches Kapital viel wichtiger. Ein bürgerlicher Habitus statt Arbeiterklasse. Lesen und Wertschätzung von Bildung. Gewählte Sprache. Umgangsformen. Mehrere Milieus in einem Leben zu erklimmen scheitert viel eher am Habitus und der Konditionierung als an irgendwelchen technischen Gründen, obwohl die moderne, individualistische Gesellschaft hier wohl durchlässiger ist als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte und einem fast alles durchgehen lässt.

Bereits zu Studieren war in der Elterngeneration fast schon eine Garantie, zur Oberschicht nach wissenschaftlicher Definition zu gehören. Heute ist das bei 30% statt damals 15% Hochschulabschlüssen eben nicht mehr so einfach. Die Commoditisierung des Studiums verdrängt natürlich zugleich den damit verbundenen Elitarismus und lässt die klassische Aufstiegsstory etwas verblassen, weil ein Studium bereits zur Normalität geworden ist.