Irrationale Entscheidungen

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This article was last updated on 2020-12-22, the content may be out of date.

Im Grunde ist das doch nichts als sich Opportunitätskosten und externalisierte Kosten bewusst zu machen und das ist sicher eine gute Sache, dies ganz grundsätzlich im Kopf zu haben oder sich vor Augen zu führen.

Ich möchte hier nur ein wenig die Gegenperspektive einnehmen. Nicht, weil die Idee falsch ist und andere werden sicher lauter Beispiele posten, aber um das Thema etwas differenzierter zu betrachten. Ich glaube, dass man aufpassen muss, nicht alles zu utilitaristisch zu sehen. Nehmen wir das Beispiel mit der Putzkraft - finanziell wäre das für mich ein absoluter Nobrainer, aber ich habe ungern fremde Menschen in meinem privaten Wohnraum und ich sehe es auch als Anspruch an mich selbst, meinen Haushalt im Griff zu haben und alles selbst erledigt zu bekommen.

Das ist auch eine Sache von Erwachsenwerden, regelmäßig zu merken, dass jede Entscheidung Konsequenzen hat, die man selbst ausbaden muss. Wenn ich etwas nicht wegräume, dann macht das niemand für mich und es wird ewig liegen bleiben. Den Alltag zu meistern, vor allem immer wiederkehrende Themen wie Sauberkeit, ist doch eine der großen psychologischen Lektionen des Lebens. Es ist eine nie endende Aufgabe und man muss einen Rhythmus und eine Routine finden. Für mich ist das beispielsweise ein sehr guter Indikator über mein Stresslevel im Job, weil dann zwangsläufig mehr Hausarbeit liegen bleibt und ich daran merke, dass ich mir mehr Zeit für mich nehmen muss, um nicht auszubrennen.

Ich dachte zum Beispiel lang, dass die Silicon Valley Kids mit ihrem Delivery/Takeaway Lifestyle verwöhnt sind, bis ich mal in Südafrika war und meine Ansprechpartner sich abends beim Barbecue unterhalten haben, wie schrecklich es ist, wenn die Haushälterin einen Tag in der Woche nicht arbeiten muss und ausnahmsweise keine frischen Handtücher vorbereitet in der Dusche hängen…

Wenn man alles wegoptimiert, dann bewegt man sich am Ende gar nicht mehr selbst. Dabei kann man aber unglaublich viele Dinge problemlos erledigen, während man beispielsweise Podcasts hört oder Gedanken reflektiert und kann auch die Zeit durchaus sinnvoll nutzen, während man gleichzeitig handwerklich immer besser wird und Fähigkeiten fürs gesamte Leben verbessert.

Häufig werden die rein funktionalen Alternativen auch meinem Qualitätsanspruch und meiner Sorgfalt gegenüber den Gegenständen nicht gerecht, sei es beim Bügeln oder bei Handwäsche empfindlicher Kleidungsstücke oder Gläser. Eine rein utilitaristische Sichtweise würde keine wunderschönen Gläser zulassen, die nicht in die Spülmaschine dürfen, keine Messer, aus nicht rostfreiem Stahl und keine Kleidungsstücke, die man nicht in der Maschine waschen kann. Aber erst durch die Pflege gewinnt man doch die Gegenstände wirklich lieb. Und dann ist es auch keine vergeudete Zeit, sie in Schuss zu halten - “if it sparks joy”.

Sich Zeit für die Dinge zu nehmen und den Alltag zu entschleunigen und nicht immer alles auf Effizienz zu trimmen, kann also durchaus in der Konsequenz die rationalere Entscheidung sein, auch wenn es aus rein zeiteffizienten oder monetären Gründen vermeintlich irrational erscheint.


Schöner Beitrag, anbei noch ein sehr schönes opinion piece, an das mich dein Text erinnert hat, der auch darüber spricht, welche negativen Effekte das ganze auch mit sich bringen kann: https://www.nytimes.com/2018/02/16/opinion/sunday/tyranny-convenience.html

Was ein großartiger Artikel! Deutlich elaborierter und zu-Ende-gedachter als mein spontanes Geschreibsel hier.

Embracing inconvenience may sound odd, but we already do it without thinking of it as such. As if to mask the issue, we give other names to our inconvenient choices: We call them hobbies, avocations, callings, passions. These are the noninstrumental activities that help to define us. They reward us with character because they involve an encounter with meaningful resistance — with nature’s laws, with the limits of our own bodies — as in carving wood, melding raw ingredients, fixing a broken appliance, writing code, timing waves or facing the point when the runner’s legs and lungs begin to rebel against him.

So ein toller Absatz.

Faszinierend finde ich in dem Fall wie kritisch die Kommentare sind und das enorm schwarz/weiß sehen, in Frage stellen und als Privilege abheften, obwohl ich normalerweise relativ viel von der Kommentarsektion der NYT halte. Die meisten Menschen wollen diese Entwicklung wohl.