Kein Geld zum Sparen

Note
This article was last updated on 2022-10-14, the content may be out of date.

Bei den Dutzenden Postings ala “eS kAnN aBeR nIcHt jEdEr sPaReN”, lehne ich mich mal wohlwissentlich, dass es dafür eine Menge Hate gibt, aus dem Fenster und behaupte:

Wer nicht mindestens 15% seines Gehaltes [Vollzeitarbeit, Mindestlohn] zurücklegt, lebt permanent über seine Verhältnisse.

Ja, es gibt Menschen die Stand heute nicht sparen können. Das liegt aber an falsch gesetzten Rahmenbedingungen und unweigerlichem, kontinuierlichem Exzess, weil essenzielle Ausgaben des Lebens nicht budgetiert werden.

Auch das Argument, dass es ein strukturelles und kein individuelles Problem sei, wenn es 40% der Bevölkerung betrifft, geht IMHO an der Kritik vorbei, wenn man damit die Leute freispricht, es sei gar nicht möglich, etwas daran zu ändern.

60% der Deutschen sind übergewichtig, 25% adipös. Das ist ebenso ein strukturelles Problem. Jeder einzelne könnte dennoch individuell abnehmen. Aber hier ist immerhin klar, dass es sich um ein Problem handelt.

Der Punkt ist: Ich behaupte nicht, dass es einfach sei. Ganz im Gegenteil. Gerade wer unter Stress steht oder in einer misslichen Lage ist, denkt häufig eher weniger abstrakt über seine Situation nach und verändert nicht Dinge auf einer Metaebene, wenn er konkrete Probleme im hier und jetzt hat.

Es behauptet auch niemand, dass es fair sei. Genau wie die Hälfte der Bevölkerung bei hyperpalatable Food nicht intuitiv essen kann, kann der Großteil nicht intuitiv gute finanzielle Entscheidungen treffen. Wenn es dann nicht entsprechend früh durch Bildung und Erziehung beigebracht wurde, erscheint die Lösung den Betroffenen selbst wahrscheinlich tatsächlich unmöglich. Und selbst mit entsprechendem Bewusstsein braucht es Jahre an Konditionierung und Disziplin, um Verhalten zu ändern.

Das ändert aber nichts daran, dass die Leute es sich technisch sehr wohl leisten könnten, wenn sie die Prioritäten anders setzen würden. Und ja, das heißt dann ggf. auch deutliche Abstriche im hier und jetzt, aber die Alternative ist eben Altersarmut mit noch deutlich höheren Abstrichen.

Was aber definitiv niemandem hilft, ist das permanente Whiteknighting und Wegreden des Problems auf fundamentaler Ebene. Wer nicht 15% zurücklegt (und damit gleichzeitig auch einen Puffer für Krisenzeiten aufbaut), der hat ein ganz konkretes Problem mit Altersarmut oder Krisen. Das ist ein Fakt - und eben auch realer Teil der Lebensverhältnisse.

Die Feststellung man könne gar nichts zurücklegen, bedeutet dann in der Konsequenz, dass die eigene Situation nicht nachhaltig ist und man damit per Definition über die eigenen Verhältnisse lebt und die Rahmenbedingungen ändern sollte. Ist das einfach? Ganz sicher nicht. Aber man sollte es zumindest erst einmal anerkennen.


Bei vielen hast du recht. Mit Aussagen wie “jeder” wäre ich aber wie in fast allen Bereichen vorsichtig. Alleinerziehend mit Vollzeit Mindestlohn würde mir als einfachstes Beispiel einfallen. Gilt übrigens auch für einen kleinen Teil der Übergewichtigen, Beispiel: Habe eine Verwandte, die eine Schilddrüsenunterfunktion hat, aber dagegen nicht ausreichend Medizin nehmen kann, weil diese sich mit ihrer Herzmedizin nicht verträgt. Da wurde halt von ihrer Ärztin entschieden, dass sie mit Übergewicht leben kann, ohne Herz nicht.

Auch eine Schilddrüsenunterfunktion kann die Grundlagen der Thermodynamik nicht verändern und Energie aus dem Nichts erzeugen. Dann ist dein Kalorienbedarf eben 10% niedriger, mehr macht das in der Regel nicht aus. Halbe Stunde spazieren mehr oder ein Brot weniger am Tag.

Klar, die Situation ist schwieriger als für andere und man muss ggf. deutlich mehr Aufwand beim Kochen betreiben, um das Hungergefühl entsprechend zu kontrollieren. Trotzdem ist das nicht unmöglich.

Das gleiche gilt für Alleinerziehende. Klar, ohne Supportnetzwerk wird das mit kleinen Kindern nicht funktionieren. Aber dann scheitert es in der Regel bereits an der Vollzeitarbeit und damit an meiner grundlegenden Prämisse und dann haben wir zudem auch noch den Sonderfall, dass der Vater unbekannt ist oder keinen Unterhalt zahlen kann.

Diese Fälle, bei denen dann ohne Unterhalt wegen Vollzeitarbeit substanziell Geld für die Betreuung der Kinder drauf geht, gibt es bestimmt auch, aber das dürften statistisch absolute Ausnahmen sein und nicht den Beißreflex “aber manche können gar nicht sparen!!!11” in jedem dritten Kommentar rechtfertigen.