Lohnt sich bAV? (2)
Einmalzahlung statt Verrentung
Erst einmal musst du überlegen ob du ein Einmalzahlung oder eine Verrentung betrachten möchtest. Verrentung hat Steuervorteile, aber einen miesen Rentenfaktor und du verlierst je nach Restlebenszeit locker 20-30 Jahre, die du weiterhin investiert sein könntest.
Daher gehen wir von einer Einmalzahlung aus.
Effektive Besteuerung
Durch die relativ hohe Einmalzahlung und wahrscheinliche Überlappung mit deinem letzten Gehalt, der gesetzlichen Rente oder ggf. gar etwaiger Abfindungen, wirst du wahrscheinlich zumindest deinen Steuergrundfreibetrag, sowie einen signifikanten Teil der Steuerprogression im Auszahlungsjahr bereits ausgereizt haben.
Der Großteil der 125k€ wird also mit deinem Grenzsteuersatz von 42% besteuert. Nach den aktuellen Regeln fällst du damit auch über die Soligrenze, womit nicht nur die Einmalzahlung somit effektiv mit 44,3% besteuert wird, sondern zusätzlich auch noch Soli auf Rente/Einkommen in dem Jahr anfällt. Aber hey, vielleicht schaffen wir es ja den bis da loszuwerden.
Krankenversicherung
Dann fällt auf die bAV Krankenkasse und Pflegeversicherung an. Und zwar nicht nur der Arbeitnehmer-, sondern auch der volle Arbeitgeberanteil. Heute sind das 14,6% + 3,4% = 18%. Bis zu deinem Renteneintritt wahrscheinlich eher über 20%. Du magst jetzt denken “ja gut, zahl ich eben ein Jahr lang den Maximalsatz” - weit gefehlt, das wäre ja viel zu günstig. Stattdessen streckt man deine Beiträge bei einer Einmalzahlung über zehn Jahre, damit du auch die Chance hast, alles zu bezahlen. Einziger Lichtblick: es gibt mittlerweile einen Freibetrag von knapp 170€ im Monat. Wenn es also wirklich bei den 125k€ bliebe, wärst du mit ~5k€ aus der Nummer raus, statt mit ~25k€. Aber jeder weitere Euro darüber hinaus würde voll beitragspflichtig (bis zur BBG, aber das ist ein weiter Weg).
Gesamtlast
Deine effektive Abgabenlast liegt also bei 40-65% der finalen Summe, während du bei ETFs - zumindest wenn du in der KVdR oder privatversichert bist - mit 18,5% davon kommst - und das auch nur auf den Gewinnanteil, nicht auf die Gesamtsumme und du kannst diese Steuern danach weitgehend noch über Jahrzehnte stunden.
Renditeannahme
Darüber hinaus hängt die Berechnung natürlich von deinen Renditeannahmen ab. 4% ist sehr konservativ, historisch hatten wir 7% plus Inflationsausgleich. Kosten werden bei der bAV auch höher sein, gerade versteckte Kosten wie gezillmerte Abschlussgebühren und Verwaltungsgebühren in der Rentenphase.
Flexibilität
Dazu kommt die völlige Unflexibilität irgendwie vorher auf das Geld zuzugreifen, deine Strategie anzupassen und du bist dem System und Gesetzesänderungen vollkommen ausgeliefert, wie bei der Anpassung der KV+PV Pflicht 2004. Plus das Kontrahentenrisiko, gerade falls die Versicherungen ungeliebte Policen an ausländische Unternehmen abstoßen.
Fazit
Ohne *signifikante* Zuschüsse lohnt sich eine bAV imho selten.
Wann lohnt es?
Ab wo würdest Du die Grenze ziehen?
Rahmenbedingungen
Kommt auf die ganz konkreten Rahmenbedingungen an.
Persönliches Beispiel
Ich selbst hatte/habe mehrere bAV Verträge, aber alle nur mit mageren 2% Garantiezins. Eine Direktversicherung zahlt der Arbeitgeber zu 100% allein - das ist natürlich free money, grad über der BBG, also mitnehmen.
Die anderen sind Pensions- und Unterstützungskasse bei Ergo und Allianz (bei einer von beiden gibt es ein gesetzliches Cap, daher die beiden Modelle mit je einem Vertrag für AG- und AN-Anteil, also insgesamt vier Verträgen) mit 100% Matching und da hab ich den/die größeren beiden beitragsfrei gestellt und lass den/die anderen beiden noch ein paar Jahre laufen bevor ich auch den beitragsfrei stelle, so dass ich am Schluss fünf Verträge in etwa gleicher Höhe habe, mit denen ich die Steuerlast auf mehrere Jahre staffeln kann und die Progression entsprechend mitnehme. Vielleicht lasse ich auch einen davon verrenten, das hängt aber von den konkreten späteren Bedingungen ab.
Mit meinem heutigen Wissen hätte ich die Verträge mit Entgeltumwandlung aber trotz 100% Matching nicht abgeschlossen. Der Zinseszins ist über 30-40 Jahre trotz vorgelagerter Besteuerung einfach zu mächtig.
Relevante Kriterien
Die Kernparameter dafür sind der erwartete Ertrag (mit Aktien im Versicherungsmantel wie in deinem Fall sieht die Lage deutlich besser aus als mit meinen 2% Garantiezins), sowie das eigene Alter relativ zum Renteneintritt, abzüglich Kosten. Wenn man nur noch wenige Jahre bis zur Rente hat, sind bei 100% Matching natürlich auch geringere Garantiezinsen eine gute Sache. Über der BBG ist die Lage auch etwas besser als darunter, weil man die Sozialbeiträge nicht verliert. Das muss man wirklich im Detail durchrechnen und dabei leider eine Menge Annahmen treffen.
Rentenfaktor
das wäre doch ein Rentenfaktor von 73?
Nicht ganz. Das kommt drauf an wie viel Kapital aus den 55k€ bei Renteneintritt geworden ist. Der Faktor ist immer auf 10k€ der Umwandlungssumme normalisiert. Bei 55k€ wirst du ja deutlich mehr als 100k€ haben. Wahrscheinlich liegt der garantierte Rentenfaktor eher bei ~20. Ich würde so gut wie immer die Einmalzahlung nehmen, aber eben wie oben beschrieben versuchen über ein paar Jahre zu staffeln, wenn möglich. Man sollte sich auf jeden Fall nicht von Projektionen der Versicherer täuschen lassen, wenn die etwas von “erwarteter Rendite” oder möglichen Überschussbeteiligungen erzählen. Also klar, schön wenn es so kommt, aber man hat eben keinerlei Kontrolle darüber und Garantien gibt es nicht umsonst.
Sicherheit
Hartz4 kann für einige Leute ein Argument sein, ist für meine persönliche Lebensgestaltung aber irrelevant. Hartz4 ist keine Option und ohnehin mit persönlichem Depot oder gar FIRE absolut inkompatibel.
Eine Annuität tatsächlich im Sinne von Sicherheit zu sehen ist hingegen absolut legitim, aber dann würde ich trotzdem eher eine Einmalzahlung nehmen und stattdessen freiwillig in den Jahren vor der Rente die Beiträge zur gesetzlichen Rente auf das Maximum aufstocken (das ist dann auch von der Einkommensteuer absetzbar!) und dann diese ggf. erst ein paar Jahre später beantragen. Du bekommst 0,5% mehr Rente pro Monat, den du nicht in Anspruch nimmst. Der Rentenfaktor ist dabei einfach viel besser, weil kein dritter Nutznießer des Systems ist und es wirklich fast Nullsumme ist, ohne Sicherheitspuffer und Zuschläge.
Verrentung
Verrentung ist meines Erachtens allenfalls für kleinere Summen interessant, um Freibeträge mitzunehmen wie die 170€ bei der KV/PV. Ansonsten finde ich Einmalzahlung und dann Kapitalanlage mit Entnahmestrategie sinnvoller. Gerade wenn man ohnehin FIRE als Option betrachtet oder ein Erbe hinterlassen möchte.
Unflexibel
Kann sich aber natürlich auch noch viel ändern bis es so weit ist und genau der Lockin ist persönlich mein allergrößtes Problem bei der ganzen Sache.