Sparen ohne 20er opfern

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This article was last updated on 2019-06-23, the content may be out of date.

Also ich lese im Ursprungspost und in den Kommentaren meines Erachtens vor allem zwei Dinge heraus:

  1. Du hast zu große Erwartungen und Ansprüche.
  2. Du bist naiv und verwöhnt.

(edit: das klingt jetzt harscher als es gemeint ist, finde es super, dass du dir Gedanken machst und deine Postings sind auch alle sehr freundlich und reflektiert formuliert)

Zuerst zum zweiten: Das Leben ist kein Wunschkonzert. Wir haben das große Glück in einem unglaublichen Wohlstand aufzuwachsen, aber der Normalzustand ist, dass man - in der Regel - hart arbeiten muss. Bis vor nicht allzu langer Zeit wortwörtlich *um zu überleben*. Die Tatsache, dass wir überhaupt über Selbstverwirklichung und Erfüllung nachdenken können und eine extrem freie Berufswahl haben, spricht bereits Bände und ist ein großes Privileg. Der Normalzustand ist aber nun einmal, dass man mehr mit Arbeit, Essen, Schlafen und Haushalt verbringt, als mit Freizeit und Spaß haben. So ist das Leben. Willkommen in der Wirklichkeit. Lass dir nicht von irgendwelchen Träume-Verkäufern ein vermeintliches Lifestyleideal aufschwatzen, das du erfüllen sollst.

Nun zum ersten: dein Text erinnert mich an etwas, das ich in vielen Bereichen beobachte, gerade mit der Generation, die jetzt in den 20ern ist. - Man hat enorme äußere Ansprüche und Wünsche diesen gerecht zu werden. Der gesellschaftliche Druck, der Konsumwunsch und das Sich-Vergleichen sind durch Instagram und Co größer denn je zuvor. Im schlimmsten Fall haben dann junge Mütter panische Ängste, weil ihr Kind sich noch nicht auf den Tag genau nach Plan selbstständig vom Rücken auf den Bauch drehen kann, während sich die anderen Kinder in der Peergroup doch alle vorbildlich entwickeln, und fangen selbst an Krankheiten und Störungen zu diagnostizieren wo keine sind.

Aus zu spezifischen und hohen Erwartungen resultieren völlig verquere Ansprüche und Annahmen. Kein Beruf ist immer Sonnenschein und Spaß. Arbeit ist nun einmal am Ende des Tages immer noch Arbeit und nicht das was man stattdessen lieber tun würde, selbst wenn einem der Job grundsätzlich Spaß macht. Vor allem die ersten Jahre werden immer härter und unangenehmer sein - du bist nun einmal die Pfeife, die nichts kann. Suck it up.

An der Stelle sei dann mal wieder “So Good They Can’t Ignore You: Why Skills Trump Passion in the Quest for Work You Love” von Cal Newport empfohlen, der genau das adressiert. Arbeit fängt genau dann an wirklich bereichernd zu werden, wenn man Anerkennung und Respekt bekommt. Wenn man Dinge vollbringt, die sonst kaum jemand kann. Wenn man merkt, dass die eigenen Entscheidungen positive Veränderungen erzeugen. Wenn man Autarkie und Selbstverantwortung eingeräumt bekommt. All das setzt aber voraus, dass man gut in seinem Bereich ist und sich bereits bewiesen hat. Das kommt erst nach einigen Jahren im Job. Niemand hat von Tag 1 die perfekten Fähigkeiten und die nötige Reputation. Das muss man sich erarbeiten und genau das bedeutet “Karriere machen” am Ende des Tages.

Ein Studium hat doch gar nicht den Anspruch, dich ideal auf die Berufswelt vorzubereiten. Ein Studium soll dich befähigen, wissenschaftlich und frei zu denken. Dir Themen selbst zu erarbeiten. Beweisen, dass du in der Lage bist, dir komplexe Sachverhalte und Fachwissen draufzuschaffen. Du musst auf keinen Fall später das arbeiten, was du studiert hast, aber das Studium öffnet dir eine Menge Türen. Deshalb ist es fast immer besser, etwas durchzuziehen (denn genau darum geht es mehr als alles andere), sowie alles aus einer konstruktiven, positiv-gestalterischen Perspekte zu betrachten und nicht aus einer negativen, in der es nur vorgefertige Pfade ohne jeglichen Gestaltungsspielraum gibt.

Wenn du in dich selbst investieren möchtest, dann mach dir mal wirklich Gedanken, wo du besser bist als andere und was dir auf *abstrakter Ebene* Spaß macht. Du solltest studieren oder lernen was mit deinen individuellen Fähigkeiten und Talenten eine Symbiose ergibt und sich ergänzt, aber eben so abstrakt, dass es eine Menge Transfer zulässt. Wenn du dann noch auf einen Bereich zielst, in dem man in ein paar Minuten Interview eindeutig und quantifizierbar herausfinden kann, ob du smart und erfahren oder ein Schaumschläger bist, steht dir eine goldene Zukunft bevor. Dann liegt es nur noch an dir, was du draus machst und ob das deinen Wünschen entspricht.

Ich finde ja das Modell, in den frühen 20ern Gas zu geben (was auf keinen Fall heißt, das man keinen Spaß haben oder frugal leben soll), in den 30ern die fetten Früchte ernten und mit 50 in Rente gehen, deutlich attraktiver als in den 20ern zu gammeln, in den 30ern von Job zu Job zu eiern und dann ein Leben lang bis zur Grundsicherung in präkeren Verhältnissen zu arbeiten. Möchte hier nicht den Teufel an die Wand malen oder Angst machen, aber ich hab einen Onkel, dem es genau so geht und der schwirrt mir bei den Worten etwas im Kopf herum. Der hat auch immer Erfüllung gesucht, wollte sich nicht dem Kapitalismus opfern und etwas für Natur und Menschen machen. War jung in Spanien, dann Ausbildung zum Gärtner, später Pfleger, bis zum veganen Partyservice. Jetzt macht er mit Ende 50 Securityjobs und gesteht sich selbst deutlichen Sozialneid ein…

Die 20er sind die Jahre, in denen du die Ausgangsbedingungen für dein gesamtes Restleben schaffst. Ruinier dir nicht dein eigenes Potential (damit meine ich nicht ein Jahr Work & Travel, das ist vollkommen okay) auf der Suche nach Instant Gratification und einem Ideal, das es in der Realität nicht gibt. Erfüllung und Anerkennung kommen in jedem Job mit der Zeit, wenn man bereit ist, nicht nur Dienst nach Vorschrift zu machen, sondern sich aktiv einbringt.

Vor allem aber sollte man weg vom Schwarz-Weiß Denken. Es gibt so viele Abstufungen, die du selbst gestalten kannst und es gibt immer Mittelwege, das, was einem individuell wichtig ist, zu priorisieren. Ich finde zum Beispiel beim Sparen einen guten Mittelweg als grobe Richtschnur mit 20% Sparquote vom Einstiegsgehalt zu beginnen und dies dann um 50% jeder Gehaltserhöhung anzupassen. Man kann aber auch ruhig 15% +30% machen, auch damit ist man noch viel, viel besser dran als die breite Masse. Wichtig ist nur, dass der Lifestyle bewusst und aus intrinsischer Motivation heraus passiert, nicht aufgrund von Statusdenken und externer Validierung. Man sollte nur auf sich selbst schauen, nicht auf die anderen.